Diebstahl oder Unterschlagung geringwertiger Gegenstände durch den Arbeitnehmer - Kündigung oder nur Abmahnung?

Bis zum allseits bekannten Fall „Emmely“ (Unterschlagung von zwei Leergutbons im Gesamtwert von € 1,30 durch eine Supermarktverkäuferin mit Kassentätigkeit) war insbesondere aufgrund des so genannten „Bienenstich-Urteils“ des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 17.05.1984 und des „ICE-Urteils“ vom 12.08.1999 klar, dass bei der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung das Prinzip der Nulltoleranz herrscht. Hiernach hatte ein Arbeitnehmer mit einer wirksamen fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechnen, wenn er sich am - auch geringwertigen - Eigentum des Arbeitgebers vergriff.

 

Mit dem Emmely-Urteil vom 10.06.2010 hat das BAG die vormals feststehende Rechtsprechung grundsätzlich geändert. Im Einzelfall muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nunmehr vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung zunächst eine Abmahnung aussprechen. Zwar meint das BAG, dass ein vorsätzlicher Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Vertragspflichten weiterhin eine fristlose Kündigung auch dann rechtfertigen kann, wenn der wirtschaftliche Schaden gering ist. Allerdings ist „umgekehrt“ nicht jede unmittelbar gegen die Vermögensinteressen des Arbeitgebers gerichtete Vertragsverletzung ohne Weiteres ein Kündigungsgrund. Das Gesetz erkennt für eine fristlose Kündigung nur einen „wichtigen“ Grund an. Ob ein solcher wichtiger Grund vorliegt, muss unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile beurteilt werden. Dazu gehören

-          das gegebene Maß der Beschädigung des Vertrauens.

-          das Interesse an der korrekten Handhabung einer

           Geschäftsanweisung

-          das vom Arbeitnehmer in der Zeit seiner unbeanstandeten

           Beschäftigung erworbene Vertrauenskapital.

-          die wirtschaftlichen Folgen des Vertragsverstoßes.

 

Das BAG stellte im Fall „Emmely“ zwar fest, dass

-          die Arbeitnehmerin vorsätzlich einen schwerwiegenden

           Vertragsverstoß begangen hatte,

-          dass dieser Verstoß den Kernbereich der Arbeitsaufgaben einer

           Kassiererin berührte,

-          dass trotz des geringen Werts der Pfandbons das Vertrauensver-

           hältnis der Parteien objektiv erheblich belastet wurde und

-          dass die Arbeitgeberin als Einzelhandelsunternehmen besonders

           anfällig dafür ist, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl

           von - für sich genommen geringfügigen - Schädigungen zu erleiden.

 

All dies reichte für eine Kündigung jedoch nicht aus. Nach Auffassung des BAG sind die mit einer Kündigung verbundenen schwerwiegenden Einbußen im Arbeitsgerichtsprozess zu Gunsten eines Arbeitnehmers besonders zu gewichten und abzuwägen. Zu dieser Abwägung gehört insbesondere nach Auffassung des BAG eine über lange Zeit ohne rechtlich relevante Störung verlaufene Beschäftigung, durch die sich ein Arbeitnehmer ein „hohes Maß an Vertrauen“ erwirbt. Im Rahmen der Abwägung ist auch zu berücksichtigen, ob und inwieweit die wirtschaftliche Schädigung des Arbeitgebers „geringfügig“ ist. Im Fall „Emmely“ sah das BAG eine Abmahnung als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung als angemessen und ausreichend an, um künftig wieder ein störungsfrei verlaufendes Arbeitsverhältnis zu bewirken.

 

Das BAG hat erstmals ein neues Korrektiv im Hinblick auf fristlose Kündigungen bei Bagatelldelikten eingeführt, nämlich die „vergleichsweise geringfügige wirtschaftliche Schädigung“ des Arbeitgebers. Die vormals rechtlich klare Situation der Nulltoleranz ist komplett aufgeweicht. Es werden somit in Zukunft die Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte darüber zu entscheiden haben, was eine „vergleichsweise geringfügige wirtschaftliche Schädigung“ darstellt.

 

Es ist im Einzelfall daher sehr genau zu überlegen, ob bei einem Diebstahl oder einer Unterschlagung geringwertiger Gegenstände durch den Arbeitnehmer eine fristlose Kündigung ausgesprochen werden kann oder doch nur eine Abmahnung. Zu empfehlen ist eine schriftliche Information an alle Mitarbeiter, dass seitens des Arbeitgebers nicht geduldet wird, dass auch nur eine Dichtung, eine Beilagscheibe, eine Schraube oder ein Bleistift ohne Genehmigung mitgenommen wird. Ob eine solche Anweisung in einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung letzten Endes zielführend sein wird, mag dahingestellt bleiben, indizielle Wirkung hat eine solche Anweisung in jedem Fall.

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